„Wir brauchen keine Silos – wir brauchen Verbindungen“
Exklusives Interview mit Andreas Müller, Geschäftsführer von Mediahuis Aachen und intimer Kenner der deutschen Publishingbranche, über die Zukunft der Zeitung
Herr Müller, was macht Ihr Haus anders als andere deutsche Verlage – speziell im Leser- und Werbemarkt?
Ehrlich? Nichts. Wir stehen vor denselben Herausforderungen wie alle anderen: Digitalisierung, Erlösverschiebung, neue Konsumgewohnheiten. Einen klassischen USP würde ich nicht benennen – was uns von anderen deutschen Medienhäusern unterscheidet, ist eher die Struktur unseres Hauses, die sich durch unseren Eintritt in die Mediahuis-Gruppe verändert hat. Bei uns wird heute mehr Englisch als Deutsch gesprochen, weil wir über Landesgrenzen hinweg agieren. Das schafft ganz andere Voraussetzungen – auch für junge Talente.
Was meinen Sie damit konkret?
Wenn ich heute Digitaltalenten eine berufliche Perspektive biete, dann lautet die Botschaft: Du arbeitest in sechs Ländern, nicht nur in Aachen. Das ist eine völlig andere Ansage als früher: „Wenn es dir hier nicht gefällt, probier’s in unseren Nachbarstädten Düren oder Heinsberg.“ Dieser internationale Rahmen wirkt sich nicht nur auf die Kultur aus, sondern bringt auch einen ganz praktischen Vorteil: den ständigen Vergleich mit den Schwesterunternehmen in Europa.
Was lernen Sie voneinander?
Zum einen: Deutschland hinkt in vielen Digitalthemen hinterher – das sehen wir immer dann, wenn wir in der Gruppe Benchmark-Zahlen erheben. Zum anderen: In klassischen Bereichen wie der Zustelllogistik sind wir in Deutschland oft besser aufgestellt, als man denkt. Während unseren belgischen Kolleginnen und Kollegen gerade die Post den Zeitungszustellauftrag gekündigt hat, wissen wir hierzulande sehr genau, wie wir auch ohne die Post auskommen. Solche Gegensätze bringen in unserer Gruppe echten Lerngewinn in beide Richtungen.
Wie ist Ihre Unternehmensstruktur in diesem Verbund organisiert?
Wir sind eine eigenständige deutsche GmbH. Aber entscheidend ist: Wir denken und arbeiten als Gruppe. Die einzelnen nationalen Geschäftsführer des Verbunds übernehmen im Zuge der Entwicklung und Umsetzung unserer Zukunftsstrategie jeweils auch Verantwortung für gruppenweite Themen – ich beispielsweise für Automatisierung und Prozessoptimierung. Es gibt keine klassische Konzernstruktur mit Unterbau, sondern flache, horizontale Zusammenarbeit. Das ist einzigartig.
Klingt nach einer sehr vernetzten Führungsstruktur.
Absolut. Unsere Vertriebsleiterin ist mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ländern vernetzt. Chefredaktionen entwickeln gemeinsam Strategien. Es gibt keine zentrale Instanz, die von oben herunter entscheidet – wir arbeiten auf Augenhöhe. Das ist etwas völlig anderes als klassische deutsche Konzernhierarchien
Lassen Sie uns über Abos sprechen. Wie verändert sich Ihre Strategie in Zeiten von KI und sich wandelnden Mediennutzungsverhalten?
Print ist bei uns eine Abschöpfungsstrategie. Die Preise sind hoch, die Zielgruppe klar. Neukunden gewinnen wir fast ausschließlich im Digitalbereich. Unser Fokus liegt auf Onlinezugängen und E-Paper-Modellen, die von Printkunden als Upgrade wahrgenommen werden. Klassische Print-Kampagnen fahren wir nicht mehr.
Aber digitale Abos sind oft günstiger – wie kompensieren Sie das?
Stimmt. Um ein verlorenes Printabo zu kompensieren, brauchen wir rechnerisch etwa 2,6 Digitalabos. Wir haben in den letzten zwei Jahren ein beachtliches Wachstum hingelegt – weil wir früh angefangen haben, unsere Organisation umzubauen. Seit 2014/15 arbeiten wir konsequent daran, digitaler zu werden. Wir haben viele Aktivitäten eingestellt, die uns früher selbstverständlich undn unverzichtbar erschienen. Unsere Inhalteproduktion ist heute datenorientiert, unser Investigativteam sorgt für relevanten Content – mit Wirkung auf die Abschlussquote.
Und dennoch: In Ihrer Region läuft es nicht überall gleich gut, oder?
Richtig. Der Erfolg verteilt sich nicht gleichmäßig über das gesamte Verbreitungsgebiet. In manchen Regionen gelingt es uns leichter, in anderen ist es deutlich schwerer. Woran das genau liegt? Wenn wir das wüssten, wären wir noch weiter.
Wie sieht es in der Zustellung aus? Gibt es noch Spielraum für Effizienzsteigerung?
Nur begrenzt. Wir haben die Nachtzuschläge abgeschafft und auf reine Morgenzustellung umgestellt. Unsere Gebietsoptimierung läuft kontinuierlich. Wir kombinieren Zeitungs- und Briefzustellung – allerdings nur mit durch die Konsolidierer eingespielten Sendungen. Ein klassisches Briefgeschäft mit Abholung bei lokalen Kunden und eigener Sortierung betreiben wir nicht mehr. Das hält die Kosten niedrig. Der Deckungsbeitrag aus dem Briefgeschäft senkt unsere Kosten für die Zustellung der Tageszeitung. Zumindest derzeit noch. Mit der nächsten Mindestlohnsteigerung wird sich das ändern.
KI verändert gerade die gesamte Medienbranche. Wie positionieren Sie sich?
Wir beschäftigen uns seit Jahren intensiv mit künstlicher Intelligenz – redaktionell, strategisch, technologisch. Wir haben innerhalb von Mediahuis mit sophi.io-Tools zur Seitenautomatisierung entwickelt, die ohne Templates arbeiten. Wir testen aber auch andere Automatisierungstools. Unsere Redaktion nutzt KI im Alltag – zum Beispiel zur Erstellung einfacher Meldungen zur Übersetzung, zur Korrektur, zum A-B-Testen von Schlagzeilen und ähnlichen Arbeiten.
Also ein eigenes Sprachmodell?
Wir denken in diese Richtung, ja. Aber klar ist: KI wird uns nicht differenzieren. Der Content allein reicht nicht. Was zählt, ist Haltung. Unsere Eigentümer haben ein klares Bekenntnis zum Journalismus und seiner Bedeutung für die Demokratieformuliert. Deshalb investieren wir in individuellen Journalismus – in Kreativität, Tiefe, Perspektive. Nur das unterscheidet uns von den großen Tech-Plattformen.
Wie halten Sie es mit Transparenz bei KI-Nutzung?
Wir sind der erste Verlag in Deutschland, der sich nach dem US-amerikanischen Trust Project zertifizieren lässt. Wir legen offen, wo KI zum Einsatz kommt. Und wir zeigen – auch bei Interessenskonflikten – wer hinter einem Text steht. In einem Fall haben wir unter einem investigativen Beitrag den Hinweis ergänzt, dass der Schwager des Autors in der erwähnten Firma arbeitet. Das gehört für uns zur Glaubwürdigkeit dazu.
Und inhaltlich – wie gehen Sie mit Plattformen wie OpenAI um, die Ihre Inhalte nutzen?
Wir setzen derzeit auf Lizenzierung. Unsere Größe auf internationaler Ebene erlaubt es uns, mit Plattformen wie OpenAI, Google oder DeepL direkt zu verhandeln. Wir führen diese Gespräche aktiv – und stärken unsere Position falls notwendig mit Rechtsmitteln.
Eine letzte Frage: Wann kommt der „Phoenix-Tag“, der letzte Tag der gedruckten Zeitung?
(lächelt) Mein Kollege Thomas Düffert hat kürzlich 2033 als letztes Printjahr ausgerufen. Ich halte mich mit solchen Prognosen zurück. Sie verunsichern Mitarbeitende, und sie stimmen selten. Aber dass sich etwas verändert, und zwar mit rasantem – darüber gibt es keinen Zweifel.